Eindeutig schwul
- Autor:innen: Mik C.
- Layout: H.F.
- Veröffentlicht: 20. Februar 2025
- Kategorie: Story
„Schon mal aufgebrochen?“ war hier die Fragestellung.
Wenn man’s mal wortwörtlich sieht: à la dass ich aufgebrochen bin und ich urplötzlich durch diese aufgebrochene Stelle mein Leben sehe und auf einmal verstehe.
Ja! Erst neulich! Grad mal 3 Monate her:
Da sitzt ich so verträumt, nichts Böses ahnend, in einem Raum bei dem so genannten „Mittwochseminar“ im BTZ und im Weitesten ging es da um verschiedene Gruppierungen: Frauen, die Frauen lieben, Männer, die sich nicht als Männer fühlen, Menschen, die sich überhaupt nicht als Mann oder als Frau fühlen und all die verschiedenen Möglichkeiten des Seins… und da höre ich mehr so nebenbei was von Menschen, die nicht nur geschlechtlich in den falschen Körper geboren werden, sondern die dann auch noch da nicht hetero, sondern homo orientiert sind und dann geht’s so langsam wie ein Bruch durch mich durch (Krack! Und dann klick, klick, klick…) und ich kapiere, was ich nie kapiert habe, wovon ich nicht mal wusste, dass es das gibt:
Nicht nur bin ich ein Mann, sondern auch noch ein hoffnungslos, komplett eindeutiger, rettungslos von Männern begeisterter, schwuler Mann.
Vorausschicken sollte ich vielleicht, dass ich nicht nur in einem Frauenkörper stecke, demnach mein ganzes Leben als Frau gelebt habe, sondern auch durchaus schon ganz schön in die Jahre gekommen bin… Will sagen: In meiner Jugend war Schwulsein noch strafbar und von Geschlechteroperationen hatte die Welt noch nicht gehört.
Als Kind fühlte ich mich bereits eindeutig männlich, bin geschlagen worden, weil ich keine Kleider anziehen wollte, oder weil ich ohne Oberteil im Freibad gesichtet wurde. Gesichert wusste ich von Anfang an, dass ich keine Kinder haben wollte. Auch die Sache mit dem Sex habe ich von Kindesbeinen an eher als eine Art von Sport, Spiel und Entspannungsübung gesehen, was gelinde gesagt überall auf Unverständnis gestoßen ist. Ich habe mit den Dorfjungen Fußball gespielt, Mutproben absolviert und war so wild, dass ich sogar aus der 1. Klasse geflogen bin und die Schule wechseln musste, weil ich mich mit einem anderen Jungen geschlagen habe.
Ich hab‘s nur nicht kapiert, weil: „Im falschen Körper, das gab‘s halt einfach nicht…“. Und manchmal braucht man scheinbar die Worte, man braucht jemanden, der einem erklärt, dass es sowas wie dich gibt.
Wurde ja alles noch unverständlicher, als ich in die Pubertät kam: Ich meine, was sollte ich denn sein, wo ich doch ausschließlich auf Männer abfuhr, da musste ich doch ‘ne Frau sein. Was denn bitte sonst?

Dass ich ein definitiv schwuler Mann bin, das habe ich erst verstanden, als ich in diesem besagten Mittwochseminar hörte, dass es Leute wie mich gibt.
Meine ganze Jugend über habe ich beim Coming-Out meiner Freunde mitgezittert, als wär’s mein eigenes, hab „Brühwarm“ gehört, bis ich die Texte auswendig kannte, habe meinen schwulen Freunde Alibis gegeben und als ihr Date fungiert, wenn sie ihre Lover trafen, habe mitgeschwärmt, wenn sie sich verliebt hatten… Nebenbei habe ich an sexuellen Erfahrungen so ziemlich alles probiert, was mich interessiert hat, war bloß immer nicht ganz richtig. Mit Frauen hat sich schon mal gar nichts gerührt, Männer fand ich sexuell total anziehend, allein immer diese Begeisterung für meine Brüste etc…
Ich habe bedingt durch meinen besten Freund womöglich mehr Zeit in Schwulendiskos verbracht, als so manch gestandener schwuler Mann.
Ich fand die Männer immer wieder toll, war auch jedes Mal wieder hingerissen, wenn ich jemand Anziehenden traf, aber mein Körper mit den jeweiligen Männern, das hat einfach nicht gestimmt und nicht deshalb, weil ich dachte, ich wäre nicht attraktiv oder Ähnliches… (Ich fand immer: Männer sind leicht zu haben: Sie wollen Sex, ich will Sex = alles peachy). Sex war großartig, wegen der Körper der Männer, nicht wegen meines eigenen.
Ich habe sogar eine ganze Weile in einem erotischen Kollektiv gelebt, um dahinterzukommen, wie ich da denn eigentlich ticke. Habe ich natürlich da nicht rausgefunden, weil diese von der 68-Bewegung angeregten sexuellen Freigeister zwar der freien Liebe außerordentlich zugetan waren, in ihren Reihen aber maximal bis schwul und lesbisch gekommen waren. Sprich: Wieder große Begeisterung für meine Brüste – Hab ich schon erwähnt, dass ich mit Brüsten sowas von gar nichts anfangen kann?
Ohne dass ich wusste, warum mir das so wichtig war, habe ich mir sogar zuerst einen damals noch reinen Männerberuf ausgesucht und bin Tischler(in) geworden. Da ich zwei linke Hände hatte, waren meine Brüder wieder mal völlig von den Socken und haben überhaupt nicht verstanden, warum ich sowas wollen könnte und ich konnte wieder mal nicht erklären, warum mir das so wichtig war.
Irgendwann arbeitete ich im Auslandsamt in Freiburg an der Uni und jemand, der mich nur von hinten sah, redete mich an und sagte: „Hey Sascha, was machst du denn hier?“ und ich dreh mich um und er sagt: „Ups – ich hab‘ dich verwechselt…“ Und ich dachte: Super! Den Namen will ich; der ist gleichzeitig Männer- und Frauenname. Da lass‘ ich mir Briefe schreiben etc., mache dem Standesamt klar, dass ich unter dem Namen angeschrieben werde und ein paar Monate später (früher war das scheinbar einfacher) hatte ich einen neuen Vornamen… Auch das hat sich mir erst erschlossen, als ich in besagtem Mittwochseminar war.
Hab‘ mich nur immer diebisch gefreut, wenn mich Leute im Arbeitsumfeld, die mich nicht kannten, angemailt haben mit „Guten Tag, Herr…“.
Mein ganzes Leben macht auf einmal Sinn: Ich habe bis vor kurzem nie begriffen, warum mir manche Sachen so verflixt wichtig waren, warum ich keine Kleider anziehen wollte, warum ich keine Kinder kriegen wollte, warum ich nicht heiraten wollte, warum ich einen anderen Namen wollte und und und…
Ja, ich bin aufgebrochen. Und durch diese Bruchstelle sehe ich mein Leben und es erklärt sich so Vieles.
Was ich damit mache? Ich denke maßnahmentechnisch nix mehr. Viele Themen interessieren mich einfach nicht mehr. Ist wohl `ne Alterssache… Ich bin nur so sehr dankbar, dass ich verstehe, was mit mir los ist, wer ich sexuell bin, warum ich bestimmte Sachen gemacht habe.
Will ich jetzt als Mann leben? Nööö.
Will ich als Frau leben? Nööö.
Ich sehe und fühle mich weder weiblich, noch männlich.
Ich bin Sascha, hab‘ echt viel mitgemacht und bin ziemlich froh, dass ich grad das Thema Sex und Partnerschaft hinter mir habe. Warum darf denn mit manchem nicht auch mal Schluss sein?
Warum muss ich denn bitte mit paarundfünfzig noch potent sein, wie ein Zwanzigjähriger, wie ein geölter Blitz durch die Eifel toben, und knackig und glattgebügelt daherkommen wie Brad Pitt?!
Ja, ich bin aufgebrochen, und durch diesen Bruch hat sich mein Leben erklärt und ich kann gelassen (und irgendwie erleichtert) weitergehen.
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