Chiralität
Same Same but different
- Autor:innen: Simone G. & Andreas M.
- Layout: admin-akzente
- Veröffentlicht: 11. Januar 2023
- Kategorie: Wissen
Was machen ein Chemiker und eine Biologin, wenn sie gemeinsam ein Projekt für Akzente bearbeiten wollen? Richtig, sie nehmen sich ein Thema aus der Biochemie vor. In diesem Fall fiel die Wahl auf das Thema „Chiralität von Molekülen“, das auch bei der Herstellung von Medikamenten, unter anderem Antidepressiva, eine Rolle spielt, aber auch im Alltag, wie wir später noch sehen werden.
Was aber ist Chiralität und warum ist das Thema so spannend? Es gibt Moleküle, die in zwei spiegelbildlichen Formen existieren können. Diese nennt man Enantiomere. Sie haben die gleiche Summenformel, gleiche physikalische Eigenschaften, sind aber nicht gleich. Sie verhalten sich wie Bild und Spiegelbild, wie unsere Hände, die man nicht zur Deckung bringen kann. Das bedeutet, dass Sie keine Drehspiegelachse haben. Dies nennt man Chiralität. Um dies zu verdeutlichen, gibt es einige Bilder aus dem Alltag: links- und rechtsdrehende Schneckenhäuser, Schrauben oder Korkenzieher.
Bei organischen Verbindungen tritt Chiralität meistens bei asymmetrisch gebundenen Kohlenstoffen auf. Was bedeutet das? In der Regel ist Kohlenstoff vierbindig, hat also im einfachsten Fall vier Einfachbindungen. Sind diese vier Einfachbindungen mit vier verschiedenen Substituenten verknüpft, kommt es zur Chiralität, das heißt: Das Molekül ist mit seinem Spiegelbild nicht deckungsgleich.
Enantiomere können völlig unterschiedliche Wirkungen haben, z. B. wirkungsvoll im Gegensatz zu wirkungslos, giftig vs. ungiftig.

„Chiralität ist ein griechisches Kunstwort und bedeutet „Händigkeit“, abgeleitet von altgriechisch χείρ cheir, später chir, „Hand, Faust“. In der Kristallographie wird sie auch Enantiomorphie genannt.“ *
Gleiche Eigenschaften, aber unterschiedliche Wirkung
Bei chiralen Arzneistoffen ist meist nur eines der Enantiomere therapeutisch wirksam. Deshalb versucht man in der Medizin nur ein Enantiomer herzustellen bzw. beide Formen sauber voneinander zu trennen.
Das ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheint, da die Enantiomeren Paare – also Bild und Spiegelbild einer Verbindung – gleiche physikalische Eigenschaften wie Molekülmasse oder Siede- und Schmelzpunkt besitzen. Deshalb werden bei der Synthese bestimmter Wirkstoffe die Enantiomere manchmal nicht getrennt, sondern als Gemisch beibehalten, sofern es gesundheitlich unbedenklich ist. Ein Beispiel hierfür ist der Arzneistoff Ibuprofen. Er wird als Präparat in der racemischen Form verkauft, das heißt, er liegt als ein Enantiomerengemisch von 50: 50 vor. Wirksam als Schmerzmittel ist jedoch nur eines der Enantiomere.
Ähnlich ist es bei dem Antidepressivum Citalopram. Hier liegen zwei Enantiomere vor, eines, das antidepressiv wirksam ist, und eines, welches es nicht ist. Auf dem Markt sind sowohl Präparate, die beide Enantiomere enthalten, als auch Präparate, die nur das wirksame Enantiomer enthalten.
Verhängnisvolle Fehlannahmen
Ein tragisches Beispiel, bei dem beide Enantiomere als Gemisch im Arzneistoff waren, ist Contergan. Es ist ein Beruhigungsmittel, das von der Firma Grünenthal synthetisiert und in den 1950er Jahren eingesetzt wurde. Thalidomid, der aktive Wirkstoff, ist ein chirales Molekül und wurde mit gleichem Anteil der beiden spiegelbildlichen Formen verabreicht. Ein Enantiomer war dabei der Arzneistoff mit der beabsichtigten therapeutischen Wirkung. Das andere Enantiomer wurde für inaktiv gehalten. Leider hatte dieses Enantiomer fruchtschädigende Wirkung bei schwangeren Frauen, mit den mittlerweile bekannten schweren Folgen. Im Falle von Thalidomid wandeln sich die Enantiomere allerdings im Körper des Menschens ineinander um – somit träte die fruchtschädigende Wirkung auch dann auf, wenn nur das therapeutisch wirksame Enantiomer im Ausgangsstoff wäre.
chiralität im alltag
In der Kosmetik- und der Lebensmittelindustrie spielt Chiralität ebenfalls eine wichtige Rolle. Enantiomere können beispielsweise verschieden schmecken oder riechen. Hier einige Beispiele: Bei den beiden Formen der Aminosäure Valin schmeckt die eine bitter, die andere süß. Die beiden Molekülformen des Aromastoffes Limonen duften entweder nach Zitrone oder nach Orange. Bei Carvon, einem Bestandteil von ätherischen Ölen, riecht das eine Enantiomer nach Kümmel und das andere nach Minze.

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