Die Macht der Berührung

eine zufällig entdeckte Kraft

Auch wenn die Macht der Berührung durch Zufall entdeckt wurde, als das Gegenteil bewiesen werden sollte, so brauchen wir Berührungen doch zum Leben. Aber ist Körperkontakt auch essentiell für ein gesundes Sozialverhalten?

Unsere Haut ist das vielseitigste und größte Sinnesorgan. Sie trennt, als Hülle unseres Körpers, unser Inneres von der Außenwelt ab und schützt uns vor Umwelteinflüssen. Doch Haut kann noch viel mehr, sie enthält Millionen von Berührungsrezeptoren – wenn sie berührt wird, wird der Tastsinn aktiviert.

Wir nehmen Temperaturen wahr, können Strukturen fühlen, ob etwas rau oder weich ist. Durch die Rezeptoren werden Signale an unser Gehirn geschickt. Instinktiv entscheiden wir zwischen gut und schlecht, zwischen angenehm und störend. Die Haut fungiert als Indikator und Schutzwall.

Die Augen schließen, um nichts zu sehen und die Ohren zuhalten, um die Welt um uns herum nicht hören zu müssen oder die Luft anhalten, um nichts zu riechen, all das geht. Aber der Tastsinn ist der einzige Sinn, den wir nicht abstellen können.

Die Signale durchströmen unsere Nervenbahnen und übermitteln neben den tatsächlich gefühlten Dingen auch eine emotionale Bewertung. Es fühlt sich vollkommen anders an, wenn uns jemand berührt, der uns vertraut ist als von einem Fremden angefasst zu werden. Bei unerwarteten oder ungewollten Berührungen kann man im EEG sehen, wie Menschen sich extrem anspannen. Sie reagieren im schwächsten Fall mit Befremden, aber Berührungen können auch Angst und Aggressivität auslösen.

Berührungen können gefühle formen

Positive Berührungen führen zur Ausschüttung des Glückshormons Oxytocin. Dadurch kommt es zum Abbau von Stresshormonen. Die Atmung und Herzschlag verlangsamen sich. Die Muskeln im gesamten Körper entspannen sich und wir fühlen uns wohl und zufrieden. Gleichzeitig haben wir weniger Angst und fühlen uns gestärkt.

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Entdeckt wurde die Verbindung zwischen Berührung und Gefühlen 1957, als der Verhaltensforscher Harry Harlow eigentlich das Gegenteil beweisen wollte: Kinder brauchen keine Berührungen, sondern nur Nahrung. Kuscheln galt als No-Go und wurde sogar als negativ für die Entwicklung erachtet. Man befürchtete, dass durch zu starken Körperkontakt die Kinder verhätschelt und verwöhnt würden. Psychologen empfahlen Müttern, den Körperkontakt mit ihren Babys nach Möglichkeit aufs Stillen zu beschränken. Eigentlich wollte Harlow neugeborene Äffchen von ihren Müttern isolieren, um sie keimfrei aufzuziehen. Dabei stieß er auf ein unerwartetes Problem: Die isolierten Affenbabys zeigten deutliche Entwicklungs- und Verhaltensstörungen. Bis dato ging man davon aus, dass man, ebenso wie bei Ratten und Tauben, eine Verhaltensänderungen durch Futterbelohnung erreichen könnte.

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Um zu beweisen, dass Futter wichtiger ist als Berührungen sperrte der Forscher Harlow junge Rhesus-Äffchen ohne ihre Mutter in einen Käfig. Dort hatten sie nun die Wahl zwischen zwei Attrappen. Eine Nachbildung war aus Draht und spendete Milch. Die zweite „Ersatzmutter“ hatte dieselben Dimensionen, war aber mit Stoff bespannt und spendete keine Milch. Was bei anderen Tierarten klappte, das sich Jungtiere ausschließlich der Milchspenderin zuwenden, klappte mit Primaten nicht. Die Affenbabys gingen nur zur Nahrungsaufnahme zur Drahtpuppe, kuschelten aber den Rest des Tages mit der stoffbespannten Attrappe. Die Bindung zur Stoffattrappe war so stark, dass die Kleinen neugierig und interessiert neue Umgebungen erkundeten, wenn sie dabei war. Wurden sie hingegen alleine neuen Einflüssen ausgesetzt, waren sie verängstigt und schreckhaft. Das führte zwangsweise zu der Frage, ob der natürlicherweise enge Kontakt zwischen Mutter und Kind mehr Sinn hatte, als der durch Nahrung zu überleben.

körperkontakt ist essentiell für gesundes Sozialverhalten

Diese, ethisch durchaus bedenklichen, Experimente zeigten deutlich, wie essentiell Körperkontakt für die körperliche Entwicklung und die Entwicklung eines gesunden Sozialverhaltens ist. Doch nicht nur Babys und Jungtiere brauchen diese Nähe. Auch für Erwachsene sind Nähe und Berührungen eigentlich unabdingbar. Fehlt dieser Kontakt, stellt sich nach einiger Zeit im Normalfall ein körperkommunikativer Mangel ein. Jeder Mensch leidet unter fehlenden Berührungen, wenn auch unterschiedlich ausgeprägt. Das kann sich, genauso wie bei ungewollten Berührungen, durch Angst und Aggressivität äußern oder nur durch ein unbestimmtes Unwohlsein.  

Oft sind Betroffene erst nach einiger Zeit in der Lage zu definieren, was dieses Unwohlsein auslöst. Laut Grunwald kann solch ein Mangel außerdem zu leichten bis mittelgradigen Depressionen führen, einschließlich psychosomatischer Erkrankungen. Auch wenn nicht alle Menschen gleich unter Berührungsmangel leiden, kann sich das gerade in Zeiten von Corona und social distancing nicht nur negativ auf den Einzelnen, sondern auf unsere ganze Gesellschaft auswirken.

Wir vermeiden Nähe zu unseren Mitmenschen. Wo früher eine herzliche Umarmung oder zumindest ein Handschlag stand ist heute meist nur noch Abstand, wenn man sich überhaupt persönlich trifft. Das Misstrauen wächst zusätzlich, durch die Angst Dinge zu berühren, die vorher selbstverständlich waren. Dadurch nehmen wir unsere Umgebung nicht mehr mit allen Sinnen wahr. Was aber noch viel schlimmer als die eingeschränkte Wahrnehmung ist, ist das wir uns entfremden. 

Wir brauchen berührungen zum überleben

Fehlender persönlicher Kontakt führt zu Distanzierung, die sich auch durch Telefonate und Videokonferenzen nicht überbrücken lässt. Körperliche Anwesenheit und Gespräche im selben Raum helfen hier nur bedingt.

Wir brauchen Nähe fast genauso dringend, wie Nahrung. Nähe schafft Vertrauen und Sicherheit.

Menschen und Säugetiere generell empfinden Nähe nur dann als echt, wenn sie einen dreidimensionalen Körper auch dreidimensional wahrnehmen können. Diese Nähe lässt sich nicht allein durch die reine Anwesenheit anderer, sondern nur durch Körperkontakt erfahren und sei es nur der Handschlag zur Begrüßung. Auch wenn wir theoretisch begreifen, dass der Andere da ist, wenn wir ihn sehen, müssen wir fühlen. Nur so ist sich unser Organismus sicher, dass das Gegenüber existiert. Das rührt daher, das unser Gehirn weiß, dass Bilder auch nur eine Illusion sein könnten. Selbst Töne, Sprache Geräusche, müssen nicht echt sein. Sie könnten ebenfalls nur aus der Konserve kommen. Die Digitalisierung der Gesellschaft hat hier einen großen Einfluss.

Die Fähigkeit des Miteinanders

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