Transition
ZWEITE CHANCE FÜR EIN ERFÜLLTES LEBEN
- Autor:innen: Patricia R.
- Layout: Ehemalige TN
- Veröffentlicht: 31. Juli 2023
- Kategorie: Gesellschaft
Bis zu 600 000 Menschen in Deutschland sind transident. Für viele dieser Menschen bedeutet die Transition eine zweite Chance auf ein glückliches und erfülltes Leben. Doch der Weg dahin ist oft schwer und stellt die Betroffenen vor enorme Probleme.
Nach internationalen Schätzungen leben in Deutschland etwa 300 000 bis 600 000 transsexuelle Menschen. Das entspricht 0,33 % bis 0,7 % der Bevölkerung. Es sind Menschen, deren zugewiesenes Geschlecht nicht mit dem empfundenen Geschlecht übereinstimmt. Die Dunkelziffer ist vermutlich höher, da sich viele Betroffene aufgrund der Vorurteile und Stigmatisierung in der Gesellschaft nicht trauen, ihr wahres Ich offen auszuleben.
Transsexualität ist keine sexuelle Orientierung und keine Krankheit
In der Öffentlichkeit wird Transsexualität oftmals mit Homosexualität, Transvestitismus oder Fetischismus in einen Topf geworfen. Das ist jedoch nicht korrekt, denn Transsexualität ist keine sexuelle Orientierung oder Neigung, sondern beschreibt einen Zustand, in dem das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht nicht mit dem eigenen Empfinden, mit der eigenen Geschlechtsidentität übereinstimmt. Aufgrund der sprachlichen Nähe zu Sexualität lehnen Betroffene den Begriff Transsexualität oft ab und sprechen lieber von Transidentität. Dieser Zustand wird oftmals von einer tief empfundenen Abneigung gegen die vorhandenen Geschlechtsmerkmale sowie dem Wunsch nach einer medizinischen Geschlechtsangleichung begleitet. Man bezeichnet diese Ablehnung als Geschlechtsdysphorie.
Viele Betroffene stellen bereits in der Kindheit oder Jugend fest, dass sie irgendwie ‚anders‘ sind. Mit der Zeit reift dann die Erkenntnis, dass sie transident sind. Sie begegnen in ihrem Leben häufig Vorurteilen und erleben pathologisierende und stigmatisierende Situationen. So wird vielen eine latente Homosexualität oder Fetischismus als Hauptbeweggrund unterstellt, da Außenstehende das Gefühl einer vom körperlichen Geschlecht abweichenden Geschlechtsidentität in der Regel nicht nachvollziehen können. Betroffene werden nicht selten in eine sexuelle „Schmuddel-Ecke“ gestellt und von der Gesellschaft ausgegrenzt. Oder sie trauen sich erst gar nicht, ihr wahres Ich zu zeigen, sondern verstecken sich hinter einer Geschlechterrolle und versuchen die zugehörigen Geschlechterklischees zu erfüllen. Auf Dauer entsteht dadurch oft ein krankmachender Leidensdruck, aus dem sich mit der Zeit auch psychische Erkrankungen wie z. B. Depressionen oder Suizidalität entwickeln können. Denn Mobbing, Gewalterfahrungen, Jobverlust sowie der Verlust von sozialen Kontakten können eine häufige Folge des Outings sein.
Gesetzliche Lage
Die moderne Medizin und die Gesetzgeber haben dies bereits vor langer Zeit erkannt und Möglichkeiten geschaffen, wie transidenten Menschen geholfen werden kann. Seit 1. Januar 1981 gilt in Deutschland das Transsexuellengesetz (TSG). Es regelt bisher die rechtlichen Voraussetzungen einer Vornamens- und Personenstandsänderung. Mittlerweile gilt das Gesetz jedoch als veraltet und pathologisierend. Das Bundesverfassungsgericht hat im Laufe der Jahre einige Teile davon als nicht vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt und die Bundesregierung bereits vor Jahren dazu aufgefordert, das TSG zu überarbeiten – was bisher leider nicht erfolgte.
Um die Geschlechtszugehörigkeit (also den Personenstand) ändern zu können, mussten sich transidente Menschen bis 2011 einer permanenten Sterilisation sowie einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen. Eine Ehe wurde dann automatisch geschieden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte dies 2011 als nicht vereinbar mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und entkoppelte die rechtliche und medizinische Transition voneinander.
Heute muss für eine erfolgreiche Personenstandsänderung ein Verfahren beim zuständigen Amtsgericht eröffnet werden, in dessen Verlauf das Gericht zwei psychiatrische Gutachter:innen beruft. Das Verfahren dauert je nach Auslastung der Gerichte und der Gutachter:innen mindestens einige Monate, kann aber auch mehr als zwei Jahre dauern. Die Kosten dafür betragen zwischen 1 500 und 3 500 Euro und müssen von der antragstellenden Person in der Regel selbst getragen werden. Die Fragen, die von den Gutachter:innen im Verlauf der Begutachtung gestellt werden, sind rechtlich nicht geregelt. Einige Sachverständige stellen dabei sehr intime und von der begutachteten Person mitunter als entwürdigend empfundene Fragen – z. B. nach der sexuellen Orientierung, dem Masturbationsverhalten oder danach, welche Unterwäsche getragen wird. Ebenso gibt es Gutachter:innen, welche das Erfüllen von geschlechtsbezogenen Rollenklischees voraussetzen, um ein positives Gutachten auszustellen. Daher empfinden Betroffene den rechtlichen Weg trotz der Änderungen seit 2011 häufig als äußerst beschwerlich, schmerzhaft und geradezu krankmachend.
Selbstbestimmt leben
Verschiedene Regierungen der Bundesrepublik haben sich in den vergangenen Jahren daran versucht, das bemängelte TSG zu erneuern. Dies scheiterte bereits daran, dass sich die jeweiligen Koalitionspartner nicht auf einen gemeinsamen Gesetzesentwurf einigen konnten. So erklärte in der letzten Legislaturperiode auch die SPD die Bemühungen um ein neues TSG in Zusammenarbeit mit der CDU als gescheitert. Im Mai 2021 brachten die damaligen Oppositionsparteien FDP und die Grünen unabhängig voneinander Gesetzesvorschläge für ein neues Selbstbestimmungsgesetz zur Abstimmung. Die Große Koalition lehnte diese jedoch unisono ab.

Laut Koalitionsvertrag hat sich die neue Ampelkoalition bereit erklärt, das TSG zu erneuern und hat im Sommer 2022 die Eckpunkte für das geplante Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt. Dieses soll das TSG komplett ersetzen. Die wichtigste Änderung im Vergleich zum TSG soll der Wegfall der psychiatrischen Gutachten und die Verlagerung des Verfahrens vom Amtsgericht zum Standesamt sein. So soll künftig eine einfache Erklärung vor dem Standesamt ausreichen, um den Vornamen und Personenstand ändern zu lassen. Mit dem Gesetzesvorhaben will man Betroffenen ermöglichen, selbstbestimmt zu leben. Ebenso hat es als Ziel, Transidentität zu entpathologisieren. Es soll für alle Erwachsenen sowie für Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr mit Zustimmung der Eltern oder des Familiengerichts gelten. Noch im vierten Quartal 2022 (Stand: Dezember 2022) soll vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein Referentenentwurf für das neue Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt werden.
Das geplante Selbstbestimmungsgesetz hat einige, zum Teil transphobe, Gegner:innen auf die Bühne gerufen. So prognostizieren beispielsweise radikale Feministinnen ein hohes Missbrauchspotenzial des Gesetzes durch Männer. Sie fürchten, dass sich Männer unter Zuhilfenahme des Selbstbestimmungsgesetzes – also indem sie sich als Transfrauen ausgeben – Zutritt zu Frauenschutzräumen verschaffen könnten. Erfahrungen aus anderen Ländern (u. a. Argentinien, Dänemark, Norwegen, Portugal oder Schweiz), in denen ähnliche Gesetze teilweise bereits seit Jahren existieren, zeigen jedoch, dass diese Befürchtung unbegründet ist.
Andere Kritiker:innen vermuten, dass der Wegfall der Gutachten jeder beliebigen Person und insbesondere Minderjährigen den Weg zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen öffnet, ohne dass eine Notwendigkeit dazu besteht. Diese Befürchtung basiert jedoch auf einer falschen Annahme, denn das geplante Selbstbestimmungsgesetz wird die Regeln für die medizinische Transition, wie sie von den Krankenkassen vorgeschrieben werden, nicht verändern.
Wir staunen über die Schönheit eines Schmetterlings, aber erkennen die Veränderungen so selten an, durch die er gehen musste, um so schön zu werden.
Maya Angelou
Die medizinische Transition
Der Prozess der medizinischen Transition ist oft länger und um ein Vielfaches komplizierter als die rechtliche Transition. Das lässt sich u. a. am Beispiel Therapieplatzsuche verdeutlichen: Viele von uns wissen, wie schwierig es ist, einen passenden Therapieplatz zu finden und welche Wartezeiten dafür oft in Kauf genommen werden müssen. Der Verband der Krankenkassen schreibt Transidenten eine längere Psychotherapie vor, bevor die Kosten für geschlechtsangleichende Maßnahmen übernommen werden. Die sogenannte Begleittherapie hat eine Mindesttherapiedauer von 24 Sitzungen à 25 Minuten beziehungsweise 12 Sitzungen à 50 Minuten. In dieser Zeit sollen die Therapeut:innen versuchen, den Leidensdruck der Patient:innen zu mildern und eventuelle Begleiterkrankungen überprüfen. Die Betroffenen sollen sich einer sogenannten Alltagserprobung unterziehen. Oftmals bedeutet das für sie, sich in ihrem Umfeld outen und im empfundenem Geschlecht leben zu müssen, anfangs ganz ohne geschlechtsangleichende Maßnahmen. Nur ein kleiner Teil der Psychotherapeut:innen in Deutschland ist bereit und qualifiziert, Betroffene zu begleiten. Dementsprechend länger sind die Wartezeiten für Transidente auf einen geeigneten Therapieplatz – manche warten mehrere Jahre darauf.
Der Weg bleibt auch danach langwierig und schwer, denn die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Maßnahmen wird meistens erst nach zweijähriger Hormonersatztherapie genehmigt, hinzu kommen die Suche nach geeigneten Fachärzt:innen sowie Wartezeiten.
Die medizinische Versorgung für Menschen in Transition verschlechtert sich seit einiger Zeit. Beispielsweise benötigen viele Transfrauen eine permanente Bartentfernung, um ein einigermaßen weibliches Erscheinungsbild zu erreichen. Dies kann durch sogenannte Laserepilation erreicht werden. Hierzu wird eine sogenannte Nadelepilation benötigt, bei der die Haarfollikel mit Strom zerstört werden. Doch leider gibt es kaum noch Dermatolog:innen, die diese Nadelepilation anbieten und die Krankenkassen lehnen eine Behandlung durch Kosmetiker:innen ab. Das Bundessozialgericht spricht in diesem Fall von einem Systemversagen und hat die Regierung ebenfalls aufgefordert nachzubessern – doch eine Änderung der Lage ist bisher nicht in Sicht. Die Situation betrifft ebenfalls Transmänner, welche für eine ihrer geschlechtsangleichenden Operationen Nadelepilationen als Vorbereitung benötigen.
Neues Leben - Zweite Chance
Mit dem Outing und dem Start der Transition beginnt für viele Leidende ein neues Kapitel im Leben. Manche Personen stehen mit dem Outing vor einem riesigen Scherbenhaufen, denn vom früheren Leben bleibt eventuell kaum etwas übrig. Allerdings stellen viele Transidente mit der Zeit fest, dass es ihnen besser geht. Sie müssen sich meist nicht mehr verstecken oder verstellen und fühlen sich vom Zwang befreit, Geschlechterrollen und -klischees erfüllen zu müssen. Transidente begeben sich auf eine Reise, in der sie sich oftmals neu entdecken, Seiten und Aspekte an sich kennenlernen, die manchmal in einem extremen Gegensatz zum früheren Leben stehen. Häufig bessern sich im Laufe der Zeit die bestehenden psychischen Probleme, je nach Schweregrad und Ursache verschwinden diese sogar ganz. Mitunter ändert sich auch die Lebenseinstellung und nach einiger Zeit hört man Betroffene sagen, sie seien endlich im Leben angekommen. Dieser Prozess ist sehr individuell, sodass es schwierig ist, über die Dauer eine Aussage zu treffen. Das Tempo darf dabei keine Rolle spielen. Ebenso wichtig ist es für Betroffene, jeden einzelnen Schritt genau zu überdenken, denn die geschlechtsangleichenden Maßnahmen verursachen tiefgreifende Veränderungen im Körper, die in der Regel nicht rückgängig gemacht werden können.
Detransition – ein offenes Tabuthema
Genaue Zahlen sind nicht bekannt, aber Schätzungen gehen davon aus, dass 1 bis 2 % der Personen, welche eine Transition durchlaufen haben, die Transition oder einzelne Schritte davon bereuen. Sie werden Regretter (vom Englischen: to regret – bereuen) oder Detrans genannt. Manche von ihnen versuchen ihre Transition rückgängig zu machen, sie detransitionieren. Die Gründe dafür sind verschieden. Einige stellen fest, dass sie einem Irrtum unterlegen sind und sie gar nicht ihr Geschlecht, sondern die gesellschaftlichen Geschlechterrollen ablehnen. Andere haben auch nach der Transition große Probleme, von der Gesellschaft als die Person anerkannt zu werden, die sie sind, und kehren in ihre alte „Rolle“ zurück, weil sie in dieser akzeptiert wurden. Wieder andere leiden unter den gesundheitlichen Folgen missglückter Operationen zur Geschlechtsangleichung.

Die Wenigsten sprechen darüber, weil es schmerzt oder es ihnen peinlich ist. Zudem ist Detransition auch innerhalb der Transcommunity ein sehr kontroverses Thema: Zwar zeigt es uns einerseits, dass Fehler passieren; anderseits werden Betroffene zunehmend von den Gegner:innen der Transition als abschreckendes Beispiel instrumentalisiert.
Transphobie, Homophobie und Gewalt gegen Transidente und andere Queers
Viele Transidente, aber auch alle anderen Mitglieder der LGBTQ+-Community, erfahren im Laufe ihres Lebens verschiedene Formen von Homo- oder Transphobie. Das Spektrum ist sehr breit: von latenter, unbewusster Diskriminierung über Beleidigungen und Ausgrenzung bis hin zu Gewalt, manchmal – wie im Falle von Malte C. – mit tödlichem Ausgang. Mitglieder der queeren Community befürchten eine stetige Zunahme dieser Gewalttaten, da die Unterstützung seitens offizieller Organe sowie die Prävention und Bekämpfung solcher Vorfälle oft nur mangelhaft gewährleistet sind.
LGBTQ+-feindliche Personen werfen queeren Personen oft vor, sie würden sich in den Fokus der Gesellschaft drängen und versuchen, der Mehrheit der Bevölkerung ihre Lebensweise aufzuzwingen. Queere Personen wollen jedoch in aller Regel einfach nur Gleichberechtigung, das Recht auf ein freies und gewaltloses Leben ohne Unterdrückung.
Auch ich bin transident!
Dies ist mir in meiner frühen Adoleszenz bewusst geworden. Da ich in einem Land lebte, das wesentlich wertkonservativer ist als Deutschland, habe ich es vor den meisten Menschen mehr als 30 Jahre lang versteckt bzw. geheim gehalten. Ich durfte so gut wie niemandem zeigen, wer und wie ich in Wirklichkeit bin – denn das wurde nicht akzeptiert. Deshalb versuchte ich, die an mich gestellten Rollenerwartungen zu erfüllen. Ich versuchte so zu sein, wie man es von Männern erwartet. Über die Jahrzehnte hinweg hat mich das psychisch sehr stark belastet und so sehr zermürbt, dass ich seit über zehn Jahren an Depressionen leide.
Mein Leben änderte sich 2019 schlagartig – sowohl beruflich als auch privat. Ich stand vor dem Nichts und wollte auf diese Weise ehrlich gesagt auch nicht mehr weiterleben. Im Herbst 2019 entschloss ich mich nach Rücksprache mit meinem Sohn, endlich zu mir selbst zu stehen und die Transition zu beginnen. Ich begab mich auf die Suche nach geeigneten Therapeut:innen und hatte Glück, recht schnell einen Platz zu finden. Im Mai 2020 durfte ich mit der Hormonersatztherapie beginnen. Im Februar 2021 begann ich mit der Bartentfernung.
Mein Leben hat sich seitdem sehr stark verändert. Ich habe mich früher nach der Arbeit ständig an den Computer gesetzt und Computerspiele gespielt. Es war eine Flucht, um meinem unglücklichen Leben zu entkommen. Heute spiele ich kaum noch Computerspiele, denn ich verspüre keinen Drang mehr zu flüchten. Ich bin zwar noch nicht ganz angekommen, aber auf einem guten Weg. Der tägliche Blick in den Spiegel sagt es mir. Während ich mein früheres Spiegelbild sehr gehasst habe, mag ich heute die Person, die ich im Siegel sehe. Woher kommt die Veränderung? Früher zeigte mein Spiegelbild das, was die Menschen in meiner Umgebung in mir sehen wollten. Wenn ich heute in den Spiegel schaue, kann ich oft lächeln, denn endlich sehe ich mich.
Foto –––– © Unsplash / Mahdi Bafande
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