Wissenschaftler kochen
Auf der Suche nach dem Außergewöhnlichen
- Autor:innen: Marina S.
- Layout: admin-akzente
- Veröffentlicht: 21. Juli 2021
- Kategorie: Wissen
Auf der Suche nach guten Rezepten fällt es schwer, aus den Unmengen kulinarischer Ideen die tatsächlich alltagstauglichen herauszufiltern. Daher entschied ich mich für einen ganz anderen Ansatz: Ich wollte Koch-Inspirationen mit einfachen Zutaten finden, die vielleicht nicht alltagstauglich sind, aber jede Menge Freiheit lassen. Sie sollten meine Fantasie anregen, mit den Zutaten zu jonglieren und neue Zubereitungsweisen zu entdecken, und mir letztendlich unbekannte Geschmackserlebnisse bescheren.
Dabei stieß ich auf den „Gastronauten“ (so der Titel eines seiner Werke) Prof. Dr. Thomas Vilgis und seine ungewöhnlichen Kochbücher und Ernährungsratgeber. Seine Bücher beschäftigen sich mit der Kultur und Wissenschaft des Essens, mit Molekularküche und diversen Koch- und Gartechniken. Sie richten sich an Profis in Ernährungswissenschaft, Technologie und Lebensmittelchemie, aber auch an uns Hobbyköch:innen, die einfach mehr darüber wissen möchten, wie es um unsere Lebensmittel bestellt ist und was man für eine ausgewogene gesunde Ernährung beachten sollte.
DER GASTRONAUT
Prof. Dr. Thomas A. Vilgis (* 9. Juli 1955 in Oberkochen) ist ein deutscher Physiker.
Vilgis forscht auf dem Gebiet der weichen Materie (englisch Soft Matter) und leitet am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz eine Arbeitsgruppe für analytische Theorie weicher Materie. Dort führt er zudem die Gruppe „Soft Matter Food Physics“, die physikalische Aspekte des Essens inklusive Zutaten und Zubereitung erforscht.
Sie leistet einen wissenschaftlichen Beitrag zum Gebiet der Molekularküche oder Molekulargastronomie. Vilgis ist außerdem Professor für Theoretische Physik an der Universität Mainz.
EINE KOMPLEXE ANSAMMLUNG VON TEILCHEN
Prof. Dr. Thomas Vilgis ist Physiker und hat eine eigene Herangehensweise an das Essen. Er betrachtet das Thema Ernährung aus den Perspektiven der Physik, Chemie und Biologie. Wenn Lebensmittel nichts weiter sind als eine komplexe Ansammlung von physikalischen Teilchen, Natriumchlorid seit Jahrtausenden zum Pökeln verwendet wird und viele von uns ihren Biorhythmus bereits tracken, erklärt sich sein Ansatz wie von selbst – Experimente stehen auf der Tagesordnung. Essen mit all unseren Sinnen!
Dazu gehören auch das Schmecken und das Riechen. Wenn wir einen appetitlichen Duft wahrnehmen, läuft uns schon das Wasser im Mund zusammen. Wir fühlen uns an etwas Schönes erinnert. So geht es jedenfalls mir, wenn ich an den Pflaumenkuchen meiner Mutter denke und ich mich in meine Kindheit zurückversetzt fühle.
DIE 8 GRUNDDÜFTE
Wie werden Gerüche freigesetzt, wie flüchtig sind ihre Aromen und wie kann man Lebensmittel damit „parfümieren“?
Auch das sind Fragen, mit denen sich Prof. Dr. Thomas Vilgis und der „Freestyle-Cook“ Rolf Caviezel beschäftigt haben.
In „Das Parfüm der Küche: Der Schlüssel zum Genuss“ werden in 50 Gerichten die acht Grunddüfte (fruchtig, blumig, grün, harzig, holzig, erdig sowie animalisch und würzig) miteinander kombiniert. Gefühle und Emotionen kommen auf und in unseren Köpfen entstehen Bilder und Farben.
Sie machen Leser:innen seiner Bücher Appetit auf „Gebackenen Milchreis mit Vanille und Safran-Orangen-Sorbet mit Kardamom-Karamell-Grümmel und
Chili-Graffiti“ oder „Eingelegten Parmesan in Absinth mit Pumpernickel-Crossies und Zimtduft“.
GESCHMACKSKONTINENTE
UND
TEXTURDIMENSIONEN
Prof. Dr. Thomas A. Vilgis leitet die Arbeitsgruppe „Soft Matter Food Science“ am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz und lehrt an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Bereich Ernährungswissenschaften, Lebensmitteltechnologie und Food Physics. Seit 2019 ist Vilgis Mitglied des Editorial Boards der Fachzeitschrift „Foods“ für den Bereich „Food Physics and (Bio)Chemistry“. Er publizierte über 300 referierte wissenschaftliche Arbeiten in der Fachliteratur zur Physik der weichen Materie und zur molekularen Lebensmittelphysik.
Er beschreibt seine Arbeitsweise so: „Das kulinarische All ist vermutlich endlich, aber die Lebenserwartung eines Menschen erscheint mir zu kurz, um an die Grenzen dieses Universums vorzustoßen. Meine Aufzeichnungen sind als Einladung zu verstehen, kreativitätshemmende Dos and Don’ts und jedwede Bequemlichkeit hinter sich zu lassen und sich auf eigene Entdeckungsreise zu begeben – mit allen Sinnen durch Geschmackskontinente und Texturdimensionen, auf Um- und Abwege, hinein in die Welt der Bakterien und hinaus in die Regionalküchen der Welt.“
Seine im Jahr 2017 erschienenen Bücher „Aroma Gemüse: Der perfekte Weg zum Geschmack“, „Koch-und Gartechniken“ und „Beer-Pairing: Aroma und Geschmack“ wurden mit dem Gourmand World Cookbook Award ausgezeichnet, das Grundlagenwerk „Aroma: Die Kunst des Würzens“ mit der Goldenen Feder der gastronomischen Akademie Deutschlands.
DAS ZENTRUM
DER PASTA
In einem der Videos auf YouTube zum Buch „Wissen schmeckt“, das Vilgis und der mit dem Corporate Health Award ausgezeichnete Argang Ghadiri veröffentlicht haben, erklärt Vilgis mit natürlicher Freude am Experimentieren und Kochen am Beispiel der Pasta alla Puttanesca ganz selbstverständlich, wie eine Nudel auf molekularer Ebene aussieht und man „al dente“ kocht bzw. wie man physikalisch ein „teilkristallines, partiell glasiges Zentrum“ erreicht: Alles beginnt mit einer „wunderbaren physikalischen Eigenschaft“, dem elastischen Teig, der physikalisch im Vergleich zur trockenen, glasartigen Pasta Gummi ist.
„Die Pasta besteht aus Stärke und Kleber-Eiweiß mit unterschiedlichen Aufgaben. Das Eiweiß ist im Wesentlichen Gluten. Das Gluten sind lange Polymere bzw. lange Moleküle, die aus einzelnen Aminosäuren bestehen. Einige dieser Aminosäuren können reagieren und bilden eine chemische Vernetzung. Sie bilden ein weitmaschiges Netz. Dies erlaubt uns, den Teig mit Hilfe von Wasser zu ‚deformieren‘.
Die Stärke dagegen besteht aus zwei Anteilen, der Amylose, einem linearen Molekül, und dem Amylopektin, einem verzweigten Molekül, das man nur durch Wärme schmelzen kann. So kann Wasser eindringen und die Nudel wird saftig.“
BUCHEMPFEHLUNGEN
- Das Parfüm der Küche: Der Schlüssel zum Genuss (2014), Tre Torri Verlag
- Aroma Gemüse: Der perfekte Weg zum Geschmack (2017), Stiftung Warentest
- Koch- und Gartechniken (2017), Matthaes Verlag
- Beer-Pairing: Aroma und Geschmack (2017), FONA Verlag
- Aroma: Die Kunst des Würzens (2012), Stiftung Warentest
- Journal Culinaire (Magazin), zweimal pro Jahr
LOKALTIPP
Wer nicht selber kochen möchte, findet bei der „Nudelmafia“ im lebendigen Agnesviertel in Köln mit viel Liebe und wenig Chichi gekochte hausgemachte Pasta, hergestellt aus frischen Zutaten.
In jedem Fall wünsche ich euch allen viel Freude und einen guten Appetit!
Foto –––– © pexels.com / Ella Ollson
Foto –––– © pexels.com / Polina Tankilevitch
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