Zweite Chance für von Kohle-Baggern bedrohte Dörfer

Auch eine Chance für das Klima?

Die fünf Dörfer Keyenberg, Kuckum, Unterwestrich, Oberwestrich und Berverath dürfen bleiben und die darunterliegende Kohle wird nicht ins Klima verheizt. Gute Nachrichten fürs Klima und die Bewohner:innen dieser Orte?

Was steckt dahinter?

Der Konzernriese RWE baut im Raum Erkelenz, etwa eine Stunde nordwestlich von Köln, seit Jahrzehnten klimaschädliche Braunkohle in einer Größenordnung ab, die dem Hambacher Tagebau Konkurrenz macht. Der Tagebau Garzweiler II ist mit 48 km² der zweitgrößte Tagebau in NRW. Die Dörfer sind dabei im Weg. Sieben Dörfer wurden bereits geräumt, das heißt 7.600 Menschen wurden umgesiedelt und verloren ihre Heimat. Darunter auch die Siedlung Lützerath. Klimaaktivist:innen und Anwohner:innen begehren seit Jahren gegen die Umsiedlungen auf – aber wie erfolgreich?

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Der Kampf um die Heimat und um das Klima

Für den Erhalt der Dörfer kämpfen zwei große Lager, die jeden Meter Land mit allen Mitteln verteidigen wollen. Einerseits sind da die Bewohner:innen der Dörfer, die sich zu dem Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ zusammen geschlossen haben und die ihre Heimat verteidigen wollen. Andererseits sind da die Klimaaktivist:innen, die für den Erhalt unserer Lebenswelt und die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels kämpfen.

Das Bündnis sieht den Erhalt der fünf Dörfer als Erfolg ihrer jahrelangen Proteste. Die Klimaaktivist:innen hingegen sind schwer enttäuscht, denn das von ihnen besetzte Dorf Lützerath wurde im Januar 2023 von der Polizei geräumt, abgerissen und den Kohlebaggern geopfert. Der Abbau der darunterliegenden Kohle wird massive Folgen für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens haben.

Wie es ist, die Heimat (fast) zu verlieren

Eins dieser nun doch erhaltenen Dörfer ist Kuckum. Die dort lebenden Menschen wurden bereits umgesiedelt und nun wird ihr Dorf doch nicht abgerissen. Das Dorf gibt es aktuell also zweimal.

Wie es ist, seine Heimat fast zu verlieren und dann doch dortbleiben zu können, berichtet Familie D. in einem Artikel auf Rhein 24: von Postchaos wegen des Hin- und Her, über die große Leere in ihrer Heimat wegen derer, die nicht mit zurückkommen – aber auch über neue Entwicklungen, wie z. B. leere Häuser, die nun geflüchteten Menschen ein neues Zuhause geben oder ein neues Gemeindezentrum, das in der bereits entweihten Kirche entsteht.

Die andere Entscheidung über Lützerath

In der Entscheidung über das Dorf Lützerath, legte RWE Zahlen vor, laut denen die darunterliegende Kohle gebraucht würde, um die Stromversorgung trotz Energiekrise, ausgelöst durch den Ukrainekrieg, sicherstellen zu können. Gestützt auf ein Gutachten, das vor allem mit den Zahlen von RWE arbeitet, argumentierte die Landesregierung NRW daraufhin für die Notwendigkeit des Kohleabbaus.

Wie kann es zu einer solchen Entscheidung kommen, wo wir doch eine grüne Regierungsbeteiligung haben? Luisa Neubauer, Klimaaktivistin und Sprecherin für Fridays for Future Deutschland, drückt es so aus: „Seit wann argumentieren die Grünen eigentlich mit gefakten Zahlen von RWE?“

Die Frage scheint sehr berechtigt, insbesondere wenn man sich andere wissenschaftliche Gutachten zur Sachlage anschaut. Diese bezweifeln die Notwendigkeit zur Abbaggerung des kleinen Dorfes und weisen nach, dass die Stromversorgung auch ohne die dort begrabene Kohle gesichert wäre.

Die Kohle unter Lützerarth würde nur dann benötigt, wenn der Bedarf aus dem Tagebau Garzweiler II über 170 Millionen Tonnen liegen würde. Die Gutachter:innen von RWE kommen selbstverständlich auf einen solchen, der zwischen 175 und 187 Millionen Tonnen liege. Die Aurora Energy Research kommt hingegen auf andere Zahlen. Laut ihrer Analyse werde maximal ein Bedarf von 124 Millionen Tonnen entstehen, was die Abbaggerung Lützeraths überflüssig mache. 

Auch Dirk Jansen vom Bund für Umwelt- und Naturschutz NRW kommentiert die Lage: „Zur Bewältigung der aktuellen Energiekrise ist im bisherigen Abbaufeld noch für Jahre genug Kohle vorhanden. Eine Notwendigkeit, das Dorf Lützerath zu zerstören, lässt sich damit nicht begründen.”

Hinzu kommt, dass in Deutschland gerade einmal noch 47.000 m³ Kohle abgebaut und verbrannt werden dürfen, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Mit der Kohle unter Lützerath wären es jedoch insgesamt 280.000 m³. Die Kohle, die nun abgebaut werden soll, sprengt das Pariser Klimaabkommen also um das beinahe Sechsfache! 

Warum besteht RWE dann weiterhin auf den Abriss Lützeraths?

Das habe laut Jansen andere Gründe: Denn um die Kohle aus anderen Feldern holen zu können, müsse RWE das Tagebaudesign ändern. Dies sei kompliziert, sodass der Abriss Lützeraths die einfachste Lösung sei. Zudem sei in einer PowerPoint-Präsentation von RWE im Anhang des Gutachtens der Landesregierung NRW eine „entlarvende Äußerung“ nachzulesen. Dort stehe, dass mit Lützerath als Hotspot der Klimabewegung und ständigem Kern des Widerstands ein ordnungsgemäßer Betrieb des Tagebaus Garzweiler nicht möglich sei. Jansen glaubt, dies sei der eigentliche Grund, der der Planung von RWE zugrunde liege. Haben wir es also mit einem weiteren Fall von neoliberaler Gewinnorientierung als Grundlage für klimaschädliche Entscheidungen zu tun, die hier sogar die Umsiedlung des Lebensraums eines Dorfes betrifft?

Fazit

Einerseits wurden fünf Dörfer um Garzweiler II gerettet und der um acht Jahre vorgezogene Kohleausstieg 2030 gesichert. Andererseits ist mit der Rettung der fünf Dörfer auch ein bitterer Beigeschmack verbunden, denn sie wurden bereits vor dem Beschluss zum Erhalt geräumt und die Anwohner:innen umgesiedelt. 

Zudem wurde der Abriss Lützeraths, die Umsiedlung der dort lebenden Menschen und der Abbau der darunterliegenden Kohle von der Landesregierung NRW beschlossen. Kommt es zu Letzterem, kann das 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen in Deutschland nicht eingehalten werden. Für Klimaschützer:innen ist das der Hauptgrund für den großen Protest rund um Lützerath. 

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