Die Helios-Werke in Ehrenfeld – Teil 1

Ein Start-up des 19. Jahrhunderts?

Die Helios-Werke, oder korrekter die „Helios AG für elektrisches Licht und Tele­graphenanlagenbau“, wie ihr offizieller Name lautete, sind ein Ehrenfelder Mythos. In der direkten Nachbarschaft des BTZ gelegen, sind sie noch heute bekannt wegen ihres Wahr­zeichens, des seit einigen Jahren wieder funktionsfähigen Leuchtturms, der sein Licht auch über das BTZ erstrahlen lässt.

Heutige Ehrenfelder:innen rätseln immer wieder, was dort eigentlich hergestellt wurde: Glühbirnen oder sogar Leuchttürme dürften hier wohl die gängigsten Theorien sein. Tatsächlich war die Produkt­palette der Werke an der Ecke Venloer Straße/Gürtel wesentlich aufregender und innovativer als Leuchtmittel – die Helios-Werke waren ein europaweit führendes Unternehmen in Sachen Elektrotechnik.

Dass heute über die Geschichte der Werke oft nur noch gemutmaßt werden kann, hängt damit zusammen, dass es die Werke schon seit 115 Jahren nicht mehr gibt und ihre Leistungen daher seit Jahr­zehnten aus dem öffentlichen Bewusstsein Ehrenfelds verschwunden sind. Dabei spielten die Helios-Werke von 1885 bis 1905 in einer Liga mit Siemens und AEG. Hier wurden Transformatoren, Generatoren und Schaltkreise hergestellt.

Durch den erstmaligen europa­weiten Einsatz dieser Techno­logien trug die Helios AG europaweit maßgeblich zur Elektrifizierung von Industrie, Verkehrstechnik und öffentlichem Raum bei. Helios elektrifizierte allein sechs Straßen­bahnnetze in deutschen Großstädten – es ist also, wenn man heute in München oder Hamburg mit der Tram unterwegs ist, nicht unwahrscheinlich, dass die Infrastruktur dafür vor 140 Jahren von Helios aus Ehrenfeld gelegt wurde.

Mitarbeiter:innen weltweit für die Helios AG (inkl. Tochtergesellschaften)
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IM LÄNDLICHEN EHRENFELD

Das alles wurde auf einem Areal produziert, das noch wenige Jahre zuvor außerhalb der Stadtmauern Kölns lag, also bis dahin nahezu aus­schließlich landwirtschaftlich geprägt war. Auf dem Gebiet des gesamten heutigen Stadtbezirks Ehrenfeld lebten wenige Jahre zuvor gerade mal ein paar Dutzend Menschen. Auch wenn es seit den 1850er Jahren schon eine Reihe von kleineren Betriebsgründungen im Stadtbezirk gegeben hatte: die Ausmaße des Werks und die dort hergestellten Produkte müssen auf die damaligen Einwohner:innen gewirkt haben wie direkt aus einem Jules-Verne-Roman, so unwirklich und futuristisch war ihre Funktion und so ungewohnt war ihr Nutzen für sie, in einer Welt, die ja gerade erst angefangen hatte sich zu elektrifizieren. Die Geschichte der Werke ist also auch ein wichtiges Stück der frühen Stadtteil­geschichte Ehrenfelds. 

Die Reise der Helios-Werke dauerte nicht sehr lang, war aber ereignisreich: Helios agierte in einer damals völlig neuen Technologie, in einem neuen Markt, expandierte blitzartig – und wurde nach 20 Jahren vom Marktführer AEG aufgekauft. Vieles erinnert an den Aufstieg und Fall großer Start-ups der 2000er Jahre, deren Namen heute auch nur noch Insider:innen kennen. Aber macht diese Geschichte die Helios-Werke deswegen schon zu einem Start-up des 19. Jahrhunderts? Und: Was macht eigentlich ein Start-up aus?

WAS IST DAS ÜBERHAUPT,
EIN START-UP?

Der Begriff ist wirtschafts­wissenschaftlich relativ neu. Start-ups können einerseits beschrieben werden als kürzlich gegründete Unternehmen mit einer innovativen Geschäftsidee und hohem Wachstumspotenzial“ (Gründerszene Lexikon) oder, etwas aus­führlicher, als „junge, noch nicht etablierte Unternehmen, die zur Verwirklichung einer innovativen Geschäftsidee mit geringem Startkapital gegründet werden und i.d.R. sehr früh zur Ausweitung ihrer Geschäfte und Stärkung ihrer Kapitalbasis entweder auf den Erhalt von Venture-Capital […] oder auf einen Börsengang (IPO) an­gewiesen sind“ (Gablers Wirtschaftslexikon).

Andere Begriffe für Venture-Capital sind „Angel Investing”, „Equity Crowdfunding” und „Seedfunding”. Die bekannten globalen Start-ups der 2000er Jahre trugen Namen, die in der digitalen Welt des Jahres 2021 fast schon einen antiken Beigeschmack tragen, wie „General Electric“, „Siemens“ und „Krupp“. Damals kleine Start-ups, die von Venture-Capital finanziert waren und heute Teil unseres Alltags sind, waren Amazon, Facebook, Twitter, Dropbox und Paypal und viele viele andere. 

Es gibt aber auch einstige Branchen-Größen die heute völlig in Vergessenheit geraten sind: Wer erinnert sich noch an Excite, Ask.me, Napster, Altavista oder Mosaic?

START-UP-PHASEN

Neu gegründete innovative Unternehmen durchlaufen idealtypischerweise
in den ersten Jahren die folgenden Phasen:

Quelle: einstein1.de

START-UPS IN DEUTSCHLAND

In Deutschland waren bekannte Start-ups der frühen 2000er Unternehmen wie Alando (damals noch ohne „Z“), Ricardo, Primus Online, Tallyman, Yellout und snacker.de. Die bekanntesten deutschen Unternehmens­gründungen damals waren Auktionshäuser. Alle genannten Start-ups sind aufgekauft worden oder mussten ihr Geschäft aufgeben. Andere Gründungen aus dieser Zeit haben sich etabliert und gehören mittlerweile zum Alltag der Deutschen, ohne dass man sie überhaupt noch als Start-up wahrnimmt. Das sind neben vielen anderen, zum Beispiel: Immobilenscout24, Check24, Trivago, XING, Mymuesli.

Aber Fast Forward ins Jahr 2021. Die vor 20 Jahren noch raren Neugründungen haben sich etabliert und jedes Jahr gibt es in Deutschland mehrere Dutzend neue Start-ups. Zu den erfolgreichsten deutschen Newcomer:innen der letzten Jahre zählen Charge X (modulare Ladesystem für E-Autos), Toposens (Produktion von  3D-Ultraschall-Sensoren), MotionMiners (künstliche Intelligenz), Foodpunk (individuelle Ernährungspläne und eigene Lebensmittel) sowie PHYSEC (IT-Sicherheit).

Mittlerweile gibt es in fast allen deutschen Großstädten Start-up-Interessenverbände oder -Initiativen. So gibt es in Berlin die „Berlin Startup Unit“, in Düsseldorf die „Düsseldorf Startups“, sowie hier in Köln den „Startplatz“. Hier kann man sich zu Themen wie Finanzierung, Workspace und (Wo-)Manpower austauschen, hier werden Potenziale zu Kooperationen und Synergien ausgelotet und Kontakte zu Investierenden geknüpft.

Quelle: sevdesk.de

KÖLNER START-UPS

Waren die Start-ups vor bis vor 10 Jahren vor allem noch E-Commerce-Plattformen, so dringen sie heute in nahezu alle Wirtschafts­bereiche vor, wie allein ein Blick auf die erfolgreichsten Kölner Start-ups zeigt

ENVELIO

Envelio entwickelte eine Software­plattform für die nächste Phase der Energiewende. Damit können Energienetze digital und automatisiert geplant und betrieben werden. Der Demeter-Verband sowie verschiedene High-Tech-Gründerfonds zählen zu den Investierenden.

SOSAFE

Mit ihrem Unternehmen trainieren die Gründer Lukas
Schaefer und Felix Schürholz Mitarbeiter:innen für richtigen Umgang mit Cyber-Attacken.
Mit simulierten Phishing-Tests bereiten sie Mitarbeiter:innen auf den Ernstfall vor. Zu den größten Investierenden zählt Global Founders Capital.

M.DOC

Hinter M.Doc steht eine digitale Gesundheitsplattform, die unter anderem die Kommunikation zwischen Praxen und Patient:innen verbessert und  Versorgungsabläufe optimiert. Dieses Start-up wurde 2016 gegründet. U.a. ist die Stuttgarter Verlagsgruppe Thieme daran beteiligt.

ENERTHING

Das 2016 gegründete Start-up positioniert sich als Entwickler für Photovoltaiktechnologien. Hauptziel ist hier, das Internet der Dinge von Batterien zu befreien. Darüber hinaus ist Enerthing Entwickler von Asset-Tracking-Anwendungen und Indoor-Navigation, was bedeutet: Wie kann man Gegenstände remote lokalisieren und innerhalb eines Raumes navigieren?
Die NRW.Bank und der schweizerische
Smart Energy Innovationsfond haben in das Unternehmen investiert.

NOMOO

Nomoo hat sich auf vegane Ernährung spezialisiert. Dieses Start-up wurde 2016 von den beiden Studierenden Rebecca Göckel und Jan Grabow gegründet und stellt veganes Eis her. 2019 investierten Quest Solutions, Siltho Research und AM1 Ventures eine sechsstellige Summe in das damals gerade einmal drei Jahre alte Unternehmen.

Quelle: gruender.de

Diese Kölner Beispiele des Jahres 2021 zeigen: Mittlerweile gibt es in allen Wirtschafts­bereichen Start-up-Gründungen. Dennoch haben die meisten Firmen eine klare Branchen-Präferenz: Knapp ein Drittel der Start-ups ist im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie tätig, gefolgt von den Bereichen Ernährung und Konsumgüter sowie Medizin beziehungsweise Gesundheitswesen. Lediglich knapp zwei Prozent der Start-ups sind zum Beispiel im Bereich Landwirtschaft unterwegs.

Quelle: PWC-Startup-Monitor 2020

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