Die Helios-Werke in
Ehrenfeld – Teil 2
Ein Start-up des 19. Jahrhunderts?
- Autor:innen: C.P.R.
- Layout: admin-akzente
- Veröffentlicht: 20. September 2022
- Kategorie: Kultur
Im ersten Teil dieser kleinen Reihe stellten wir die Helios-Werke vor (die mit dem Leuchtturm) und überlegten, ob man das Werk, das im späten 19. Jahrhundert in der Nachbarschaft des heutigen BTZ gegründet wurde, vielleicht als frühes Start-up bezeichnen könnte. In diesem zweiten Teil möchten wir beschreiben, in welchem urbanen und gesamtwirtschaftlichen Klima sich die Werke damals in Ehrenfeld niederließen.
Köln, 1840: Die Stadt ist seit 25 Jahren preußisch, nachdem sie 20 Jahre lang Bestandteil der Französischen Republik gewesen war. Die mittelalterliche Stadtmauer steht noch, die Stadt platzt aber mittlerweile aus allen Nähten. Die Frühindustrialisierung feiert einen unaufhaltsamen Siegeszug durch Europa, ausgehend von England entstehen auch in Deutschland die bis vor Kurzem noch unbekannten „Fabriken“, welche die Arbeitswelt für immer verändern werden. Diese Fabriken benötigen Platz, der im begrenzten Raum des immer noch mittelalterlich geprägten Kölns nicht mehr vorhanden ist.
Deutschland war im Hinblick auf moderne Produktion und reibungslosen Handel bis dahin eines der Schlusslichter der europäischen Länder. Dies lag vor allem an der nach wie vor feudal geprägten regionalen Struktur des Landes – mit vielen kleinen und großen Fürstentümern und den darin begründeten unterschiedlichen Währungen und Zollbestimmungen. Nach der Gründung des Deutschen Bundes 1815 brachte Preußen den Industrialisierungsprozess allerdings umso entschlossener in Gang. Bereits mit den Erlassen zur Bauernbefreiung im Jahr 1807 und zur Gewerbefreiheit im Jahr 1810 hatte man jahrhundertealte Strukturen aufgebrochen: Von nun an war es jedem Bürger grundsätzlich erlaubt, sich gewerblich zu betätigen oder ein Unternehmen zu gründen.
WOHNEN UND ARBEITEN
AUSSERHALB DER STADTMAUERN
Auf dem Gebiet des heutigen Ehrenfelds sind zu diesem Zeitpunkt offiziell 32 Bewohner gemeldet. Sie leben an drei Orten: in einem Kloster rund um die heutige Kirche St. Mechtern (an der Vogelsanger Straße, hinter dem heutigen Kaufland), auf dem Ziegelfeld (auf und hinter dem Gelände der heutigen Moschee) und auf einer riesigen Apfelplantage namens Subbelrather Hof (heutige Ecke Subbelrather Straße/Gürtel). Das Gebiet, das nur wenige hundert Meter von der Stadtmauer entfernt liegt, ist allein schon deswegen dünn besiedelt, weil die Gründung größerer Dörfer in Stadtnähe verboten ist: Fremde Heere sollten sich hier im Belagerungsfall nicht unmittelbar vor den Stadtmauern verschanzen können.
Am 14.01.1845 veranstaltet der Antiquar Fritz Kreuter im Brauhaus „Zum Kaiser“ einen fröhlichen Karnevalsstammtisch. „Ich sinn dat dä Fastelovend nit rääch mih trecken will. Wesst ehr wat? Mer welle en neue Stadt baue!“, soll er gesagt haben. Was ursprünglich als genossenschaftliche Idee zur Schaffung günstigen neuen Wohnraums geplant war, ruft schnell spekulationsfreudige Unternehmer auf den Plan: Die Grundbesitzer Weyer und Wahlen springen auf die Idee auf und sichern sich größere Parzellen auf dem heutigen Gebiet zwischen Venloer Straße, Subbelrather Straße und Innerer Kanalstraße. Ein über Jahrhunderte landwirtschaftlich geprägter Landstrich wandelt sich so innerhalb weniger Jahre zu einem Gebiet, auf dem sich moderne Fertigungsbetriebe ansiedelten und Wohnraum für Arbeiter:innen geschaffen wurde.
Ehrenfeld verdankt seine Entstehung also dem Vordringen Kölns nach Westen, vor die Tore der Stadt. Das Gebiet war schon im ersten bis dritten Jahrhundert nach Christus bewohnt, wie der Fund einer römischen Landvilla bei der heutigen Mechternkirche im Jahre 1996 belegt.
TAPETEN, BIER UND STRASSENBAHNEN
1845 gründet Philipp Hoffmann die erste Fabrik (Tapeten) in Ehrenfeld an der Ecke Venloer Straße/ Philippstraße. Die Philippstraße erinnert noch heute an den Gründer.
Die Werkshallen – damals oft noch „bessere“ Manufakturen – sprießen bald wie Pilze aus dem Boden.
In Ehrenfeld wird alles hergestellt, was im Reich benötigt wird. Die Palette der hier produzierten Güter macht einen noch heute schwindelig:
- Automobile (Horch, das spätere Unternehmen Audi)
- Parfüm (Eau de Cologne, 4711)
- Butter (Botteram)
- Farben (Herbig, später Herbol)
- Bier (mehrere Brauereien),
- Schokolade (Kwatta, Gebäude noch vorhanden, jetzige Roßstraße)
- Glas (Rheinische Glashüttengesellschaft)
- Straßenbahnwaggons (Herbrand)
- Fässer und Metallmöbel (Mauser)
- Aufzüge (L. Hopmann Maschinenfabrik GmbH, heute Lifta Treppenlifte mit Sitz in Junkersdorf)
- Kräne (Voss und Maack, im Gebäude sitzt jetzt Balloni)
Die Liste ließe sich leicht um weitere 30 Produkte ergänzen.
Fun Fact 1: Auf dem Gelände des heutigen BTZ werden bis Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts die größten Schiffspropeller Deutschlands hergestellt. Die ehemalige Kletterhalle gegenüber der Live Music Hall war die Produktionsstätte der weit über Köln hinaus bekannten Firma Ostermann.
Fun Fact 2: 4711 ist nicht das einzige Produkt, das von Ehrenfeld aus einen weltweiten Siegeszug angetreten hat: Die Mauser-Werke, jetzt in Brühl ansässig, erfinden das blaue Plastikfass mit dem schwarzen Deckel, das sich wohl weltweiter Bekanntheit erfreut.
EHRENFELD WIRD EINGEMEINDET
Die Zahl der Fabriken in Ehrenfeld wächst sprunghaft von einer einzigen im Jahr 1845 über 52 im Jahr 1886 bis auf 110 im 20. Jahrhundert an. 1867 wird Ehrenfeld mit über 4.000 Einwohner:innen zur selbstständigen Gemeinde; zwölf Jahre später wird ihr das Stadtrecht verliehen. Im Jahre 1880 wird das Ehrenfelder Rathaus an der Venloer Straße von Vincenz Statz erbaut. Es galt als architektonisch bedeutendstes Profanwerk der Neugotik in den Kölner Vororten. Die Selbstständigkeit Ehrenfelds währt allerdings nur zehn Jahre: Im Jahre 1888 erfolgte die Eingemeindung Ehrenfelds als Stadtteil von Köln.
Nach einer wirtschaftlichen Blütezeit, die beide Weltkriege überdauerte, veränderte sich Ehrenfelds Wirtschafts- und Sozialstruktur in den 1970er Jahren drastisch. Immer mehr Unternehmen schlossen ihre Pforten – teils nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten, teils, weil Veränderungen und Expansionen am inzwischen dicht bevölkerten und bebauten Standort nicht mehr möglich waren. Infolge des damit verbundenen Anstiegs der Arbeitslosigkeit galt Ehrenfeld bis weit in die 1990er Jahre als einer der Kölner Problemstadtteile. Das hippe und angesagte Ehrenfeld des Jahres 2022 verdankt sein Image allerdings genau dieser Umbruchzeit: Viele Migrant:innen und ehemalige „Gastarbeiter“ ließen sich dauerhaft im Stadtteil nieder und gründeten unter günstigen Gewerbekosten eigene Geschäfte, Teestuben und Moscheen.
Foto —- © Heribert Rösgen
Foto —- © rheinische-industriekultur.de
Foto —- © Harvard University, Harvard Map Collection
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